Ein Jahrzehnt ungebremsten Wachstums
Westfalia: ein historischer Name mit moderner Realität. Camper Professional Deutschland hat mit dem Geschäftsführer von Westfalia, Philip Kahm, über die erstaunliche Entwicklung dieser kultigen Reisemobilmarke gesprochen.
Text: Antonio Mazzucchelli
Philip Kahm kam 2008 zu Westfalia. Er hat Wirtschaftswissenschaften studiert und begann bei Westfalia in Wiedenbrück zunächst im Einkauf. Er wechselte dann ins Projektmanagement und war danach Abteilungsleiter. 2016 bat ihn Mike Reuer (CEO), bei Westfalia in Gotha etwas Neues aufzubauen. Dort startete Kahm im Bereich Einkauf und Logistik, wurde dann kaufmännischer Leiter und im November 2022 Geschäftsführer.
Camper Professional: Bitte informieren Sie uns über den aktuellen Stand bei Westfalia und wie sich das Unternehmen entwickelt hat?
Philip Kahm: Westfalia hat eine lange Historie. Im nächsten Jahr feiert das Unternehmen, das 1844 gegründet wurde, sein 180-jähriges Bestehen. Seit seiner Gründung steht Westfalia für höchste Qualität und Innovation. Wir analysieren den Markt stets sehr genau, um zu sehen, was unsere Kunden wollen. Wir wägen alle Möglichkeiten ab, um zu sehen, wie wir unsere Kunden langfristig Freude bereiten und Zufriedenheit mit unseren Produkten verschaffen können. Dafür steht die Marke in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.
Camper Professional: Was sind die wichtigen Meilensteine in der Entwicklung von Westfalia?
Philip Kahm: Was 1844 mit einem Handwerksbetrieb begann, hat sich im 21. Jahrhundert zu einem Unternehmen entwickelt, das Spezialfahrzeuge baut. Auf Wunsch eines britischen Armeeoffiziers entstand in den 1950er Jahren die erste Campingbox, mit der Möglichkeit im selben Fahrzeug zu schlafen und zu arbeiten. Dieses Konzept war so erfolgreich, dass die Campingbox in die Serienproduktion überführt wurde. So wurde Camping für die breite Masse zugänglich und machte dieses Fahrzeug zum Traumauto der 50er und 60er Jahre. Es war der Beginn der Campingbus-Ära in Zusammenarbeit mit Ford, Mercedes und VW. So entstanden in dieser Zeit und bis heute viele Konzepte und Legenden, wie der Nugget, Marco Polo und der Club Joker und California, die letztendlich von uns entworfen wurden. Im Jahr 2000 hat uns Mercedes-Benz zu 100% übernommen. Aber aufgrund der darauffolgenden Wirtschaftskrise ging der Absatz deutlich zurück, so dass wir 2008 an eine Investmentgruppe verkauft wurden. Das war nicht die beste Entscheidung für uns. Aber 2011 hat uns dann die Rapido-Gruppe übernommen und seitdem konnten wir unser Geschäft in verschiedenen Bereichen wieder und weiter ausbauen.
Camper Professional: Wie sieht die aktuelle Unternehmensstruktur von Westfalia aus und wo werden die Westfalia-Fahrzeuge gebaut?
Philip Kahm: Wie schon erwähnt ist die Marke Westfalia seit 2011 Teil der Rapido-Gruppe, die von der Familie Rousseau geführt wird. In Deutschland haben wir zwei Hauptstandorte, die nach unterschiedlichen Konzepten arbeiten: zum einen die Westfalen Mobil GmbH in Rheda-Wiedenbrück, die den Ford Nugget sowie den Mercedes Marco Polo im direkten Auftrag der Fahrzeughersteller produziert; zum anderen entwickeln und produzieren wir in der Westfalia Mobil GmbH in Gotha, für die ich verantwortlich bin, Produkte unter der Marke Westfalia, die wir über unser eigenes Händler- und Vertriebsnetz europaweit verkaufen. Wir produzieren die Columbus-Serie, die Amundsen-Serie, die Club Joker-Serie, die Meridian-Serie und auch die James Cook-Serie.
Und wir haben Produkte, die bei Fleurette Constructeuer in Benet (Frankreich) hergestellt werden: Diese Fahrzeuge (Jules Verne, Kepler und Kelsey) wurden speziell für den französischen Markt gebaut, da dieser sich vom deutschen Markt unterscheidet und andere Anforderungen hat.
Camper Professional: In welchen Märkten ist Westfalia derzeit aktiv und wie ist das Vertriebs-/ Servicenetz aufgebaut? Welches sind die Hauptmärkte?
Philip Kahm: Wir haben in Europa ein eigenes Westfalia-Händlernetz mit exklusiven Serviceverträgen. Unser Hauptmarkt ist Deutschland. Hier hat der Verkauf unserer Mobile einen Umsatzanteil von 65 Prozent. Unsere größten Exportmärkte sind die Schweiz, das Vereinigte Königreich und Frankreich.
Camper Professional: Was hat sich seit Ihrem Eintritt in die Rapido-Gruppe geändert?
Philip Kahm: Pierre Rousseau (Eigentümer der Rapido-Gruppe) hat das große Potenzial des Reisemobilmarktes sehr früh erkannt. Seit der Übernahme im Jahr 2011 hat er viel in unser Unternehmen investiert. So ist Westfalia von 1.200 produzierten Fahrzeugen im Jahr 2010 auf insgesamt über 12.000 Fahrzeuge im vergangenen Jahr gewachsen. Wir haben uns in den letzten 10 Jahren überdurchschnittlich schnell entwickelt.
Als wir hier in Gotha die Produktion begannen, war meine größte Herausforderung, die Westfalia-DNA zu schützen. Das war nicht einfach, denn wir brauchten Spezialisten, und so war es die erste Herausforderung, gute Leute zu finden. Wir haben 2017 in Gotha mit nur einem Produkt angefangen, dem Amundsen 540, und haben dann Schritt für Schritt die anderen Produkte eingeführt. Wir haben jetzt 120 Mitarbeiter in Gotha und produzieren seit vier Jahren hier. Wir haben einen langen Weg hinter uns und es ist schön, auf das zurückzublicken, was wir erreicht haben.
Camper Professional: Wie sieht die Kooperation mit der Rapido-Gruppe aus?
Philip Kahm: Wir arbeiten sehr eng zusammen. Wir teilen Best-Practice-Prinzipien, ohne dabei die Eigenständigkeit unserer Unternehmen zu verlieren. Dabei nutzen wir die Stärken und Synergien der Gruppe bestmöglich, zum Beispiel im Einkauf und in der Entwicklung. Wir haben ein enges Netzwerk und veranstalten in der Regel Videokonferenzen mit allen Beteiligten, um uns intensiv abzustimmen. Wir arbeiten wirklich sehr gut zusammen.
Camper Professional: Der Schwerpunkt von Westfalia lag schon immer auf ausgebauten Kastenwagen und Mini-Vans – ist das immer noch der Fall? Wird es kurz- bis mittelfristig Änderungen geben?
Philip Kahm: Unser Fokus wird auch weiter auf diesen Segmenten ieen liegen. Daran wollen wir nichts ändern, denn das ist unsere Kernkompetenz.
Camper Professional: Wie haben Sie auf den Boom der Campervans (auf Basis von Ducato, Transit, Sprinter…) reagiert? Wie reagieren Sie auf den verstärkten Wettbewerb?
Philip Kahm: Das war ein Grund für die Trennung unserer Geschäftsbereiche und die Eröffnung eines neuen Standorts hier im Jahr 2017. Zudem haben wir viel in die Tischlerei investiert, um eine hohe Produktionsqualität zu erreichen und unsere Möbel selbst herstellen können. Wir investieren jedes Jahr mehr, damit wir für die nächsten Schritte gerüstet sind.
Camper Professional: Wie sind Sie mit der Lieferproblematik und insbesondere dem Mangel an Basisfahrzeugen umgegangen?
Philip Kahm: Das war eine sehr große Herausforderung und eine der größten, die wir je zu bewältigen hatten. Wir mussten in allen Bereichen sehr flexibel sein, nicht nur in der Produktion. Wir haben alternative Materialien und Prozesse schneller als je zuvor eingeführt. Linien wurden geändert und alternative Wege gefunden, um Fahrzeuge zu produzieren. Auch die Flexibilität, dass unser Büropersonal von zu Hause aus gearbeitet hat, war neu. Alles, was wir verändert haben, haben wir auf die bestmögliche Art und Weise getan. Aber das heißt nicht, dass alles optimal gelaufen ist. Die Krise war nicht schön für uns, weil wir Linien von Volumenlinien auf alternative Linien umstellen mussten. Letztendlich nutzen wir mittlerweile in Gotha als Basis den Fiat Ducato, den Mercedes Sprinter, den Ford Transit, den TGE von MAN und den VW Transporter T6.1.
Camper Professional: Was unterscheidet ein Westfalia-Reisemobil von denen der Mitbewerber?
Philip Kahm: Das ist ein großes Thema für mich und mein Führungsteam. Wir lieben selbst Caravaning und wir betrachten dieses Hobby gezielt aus unserer eigenen Sicht und wie wir die Bedürfnisse unserer Kunden am besten unterstützen können.
Für uns ist ein Hauptthema, funktionalen Komfort und ein gutes Ambiente in den Fahrzeugen zu schaffen. Wir legen großen Wert auf ein modernes, ansprechendes Design auch auf kleinstem Raum. Dabei finden wir schöne Lösungen, um den bestmöglichen Platz im Fahrzeug zu generieren.
Eines meiner Lieblings-USPs ist, dass wir seit über zehn Jahren unser eigenes Warmwasser- und Fußbodenheizungssystem entwickelt haben. Es funktioniert wie zu Hause und sorgt für eine gute Luftqualität im Fahrzeug, da es nicht nur warme Luft gibt. Das Heizsystem ermöglicht es, zwei Klimazonen im Fahrzeug zu schaffen: zum Beispiel ein anderes Klima im Badezimmer als im Wohnbereich. Das bedeutet, dass man an einem regnerischen Tag Wäsche trocknen kann, indem man die Heizung im Bad einschaltet und den Wohnbereich auf einer anderen Temperatur hält, so dass nicht das ganze Fahrzeug auf dieselbe Temperatur geheizt werden muss.
Erwähnenswert ist auch unsere Sitzbank, die man mit einem Handgriff in ein Bett verwandeln kann.
Ein großes Ziel für uns ist es, für jedes Fahrzeug, das wir hier produzieren, die höchstmögliche Qualität der Möbel zu erreichen. Wir entwerfen und produzieren nach Automobilstandards.
Camper Professional: Zurzeit investieren alle großen Konzerne in Minivans, auch Urban Camper genannt (auf der Basis von Ford Transit Custom, Citroën SpaceTourer…): Wie sind Sie an dieser neuen Marktentwicklung beteiligt und welche realen Wachstumsperspektiven haben Ihrer Meinung nach Urban Camper?
Philip Kahm: Der Ford Nugget, Mercedes Marco Polo und Volkswagen California haben einen großen Markt. Dieses Segment hat ein großes Wachstumspotenzial, weil man sie für den täglichen Gebrauch nutzen kann und (mit einem Aufstelldachmodell) überall hinfahren kann. Man braucht kein anderes Auto, so dass diese urbanen Wohnmobile gut für Leute geeignet sind, die in ihrer Freizeit auf Campingplätze fahren wollen. Hier besteht ein großes Potenzial. Hier bei Westfalia in Gotha haben wir nur den Club Joker mit Aufstelldach, aber wir werden sehen, was mittel- und dann langfristig passiert. Vielleicht haben wir ja bald etwas Besonderes im Portfolio, das wir vorstellen wollen.
Camper Professional: Haben Sie einen Exportmarkt außerhalb Europas, oder sind das Zukunftspläne?
Philip Kahm: Unsere Markenbekanntheit ist in den USA nach wie vor hoch. Wenn man in den sozialen Medien nach dem Hashtag „#Westfalia“ sucht, beschreibt es nicht nur ein Produkt, sondern einen Lifestyle. Mal sehen, was passiert. Nicht in naher Zukunft, aber vielleicht in mittel- oder langfristiger Zukunft werden wir vielleicht die Marke Westfalia zurück in die USA bringen. In anderen Märkten dauert es vor dem Hintergrund der Homologation sehr lange, ein neues Produkt zu entwickeln.
Camper Professional: Was ist Ihr Standpunkt zur Vermarktung Ihrer Fahrzeuge? Haben nationale Messen (Düsseldorf, Paris, Parma…) noch ihre Bedeutung? Wird die Online-Kommunikation die Rolle des Händlers immer mehr zurückdrängen und was sind Ihre Marketingaktivitäten, um Ihre Markenbekanntheit so hochzuhalten, wie sie ist?
Philip Kahm: Das Reisemobilgeschäft ist nicht wie das Automobilgeschäft, das versucht, Fahrzeuge über das Internet und Online-Plattformen zu verkaufen. Unser Geschäft ist emotionaler – man muss die Fahrzeuge und ihr Interieur anfassen und fühlen, sich auf die Sitze setzen und auf das Bett legen, um zu sehen, ob es für einen bequem ist und ob es zu den eigenen Bedürfnissen passt oder nicht. Daher sind die Messen für uns und in Deutschland – unserem Kernmarkt – ein wichtiges Ereignis.
Wir werden dafür sorgen, dass wir in unseren Kernmärkten überall präsent sind. Das angenehme Erlebnis der Messen wollen wir auch unseren Händlern vermitteln: der Kunde soll die Möglichkeit haben, sich die Produkte intensiv anzusehen und individuell beraten zu werden. Aber natürlich kann für einen potenziellen Kunden eine Messe aufgrund des großen Angebots auch stressig und unübersichtlich sein. Das heißt zum großen Teil konzentrieren wir uns auf die Markenbekanntheit. Außerdem sind wir gerade dabei, unsere „Social Media“- und PR-Strategie zu überdenken und werden sie genauer unter die Lupe nehmen.