Fokus

Ein Blick in die Zukunft des Reisemobils

Unser Mitarbeiter Stefan Janeld hat das zu 100 % elektrifizierte Wohnmobil von Winnebago, den eRV2, einem Praxistest unterzogen. Er lebte fünf Tage lang bei warmem Wetter und simulierte eine Reisenutzung, als ob er ständig an das Stromnetz angeschlossen wäre. Während dieser Zeit nutzte er verschiedene energieverbrauchende Geräte, darunter die Klimaanlage, den Warmwasserboiler und den Induktionsherd, während die eigenen Verbraucher wie Smartphone, oder Notebook ständig voll aufgeladen blieben.
Trotz dieses beträchtlichen Energieverbrauchs stellte Stefan fest, dass er selbst nach fünf Tagen noch nicht einmal die Hälfte der Energie des Akkus verbraucht hatte. Stefan hielt sich an eine Fahrgeschwindigkeit von unter 90 km/h, wodurch er die angegebene Reichweite von 170 Kilometer mit einer einzigen Ladung erreichen konnte.
Dieser Straßentest unterstreicht die beeindruckende Energieeffizienz des Fahrzeugs. Die geringe Reichweite des eRV2 war für Stefan kein großes Problem. Er konnte etwa eine Stunde lang fahren und dann eine 20- bis 30-minütige Pause einlegen, um die Batterie aufzuladen. In einem Wohnmobil können diese Pausen produktiv genutzt werden. Anders als in einem Privatfahrzeug, in dem man einfach nur warten würde. Bei längeren Fahrten kann das häufige Nachladen jedoch frustrierend werden.

Text und Fotos: Stefan Janeld

Der Winnebago eRV2 ist ein zu 100 % elektrifiziertes Wohnmobil, einschließlich des Antriebsstrangs und des Wohnbereichs. Die Wohnbatterie verfügt über satte 15 kWh Lithium-Energie. Das entspricht der Energie von dreizehn 12Volt 95Ah AGM-Batterien. Im wirklichen Leben bräuchte man doppelt so viele, da man nicht die gesamte Energie von AGM-Batterien nutzen kann, wie es bei Lithium möglich ist. Das Winnebago eRV2 basiert auf dem Ford eTransit mit einer Reichweite von 170 Kilometern (107 Meilen), was für ein Wohnmobil nicht gerade viel ist. In Umfragen hat Winnebago herausgefunden, dass die Leute mindestens drei Stunden zwischen den Ladevorgängen fahren möchten. In diesem Artikel geht es jedoch nicht um den Antriebsstrang oder die Reichweite. Es geht um die Technik des Wohnbereichs.- Eine Technologie, die ein völlig neues, stark verbessertes Wohnmobilerlebnis bietet.

Vollständig elektrisches Haus
Der Herd ist eine Induktionskochplatte. Die Heizung ist eine 1.800 Watt Elektroheizung. Der Warmwasserbereiter arbeitet elektrisch. Die Klimaanlage auf dem Dach ist ein 48 Volt-Gerät. Ein Kompressor-Kühlschrank hält Lebensmittel und Getränke frisch. Alles außer der Klimaanlage läuft über den Wechselrichter, da die Batterie eine 48-Volt-Ausführung ist. Der Wechselrichter bleibt die ganze Zeit eingeschaltet. Die Verwendung von 48 Volt anstelle von 12 Volt hat einen wirklich wichtigen Vorteil: Die Batterie wird in einem Viertel der Zeit aufgeladen, die eine 12-Volt-Batterie benötigt. Selbst wenn die Batterie sehr groß ist, dauert es also nicht lange, sie aufzuladen. Je nach Kapazität der Steckdose dauert es zwischen 45 und 120 Minuten.

Solarzellen nicht erforderlich
Ein auffälliges Merkmal des Fahrzeugs sind die Sonnenkollektoren über der Windschutzscheibe. Sie sind ein klares Zeichen dafür, dass es sich nicht um ein normales Wohnmobil handelt. Insgesamt befinden sich 500 Watt-Solarzellen auf dem Fahrzeug. Während meines Tests lieferten sie eine Ladung von 300-400 Watt. Das gleicht den Verbrauch des Kühlschranks mehr oder weniger aus. Für ein normales Wohnmobil ist dies eine sehr willkommene zusätzliche Energiequelle. Aber in Wahrheit braucht das eRV2 keine Solarzellen. Die 15-kWh-Batterie reicht aus, um mindestens sieben Tage lang im Freien zu übernachten. Ich habe fünf Tage bei warmem Wetter verbracht. Ich habe die Klimaanlage benutzt, den Warmwasserboiler laufen lassen, den Induktionsherd benutzt und meine eigenen Geräte immer voll aufgeladen. Kurz gesagt, ich habe so gelebt, als wäre ich die ganze Zeit am Stromnetz angeschlossen gewesen. Trotzdem hatte ich nach fünf Tagen noch nicht einmal die Hälfte der Energie in der Batterie verbraucht. Ich hätte zehn Tage lang komplett autark im Freien übernachten können, wenn es nur um Strom gegangen wäre. Mir würden die Lebensmittel und das Wasser ausgehen, bevor mir die Energie ausgegangen wäre.

Intuition
Dies ist eines der technisch fortschrittlichsten Wohnmobile, die je gebaut wurden. Es ist auch eines der am einfachsten zu bedienenden Wohnmobile. Das Bedienfeld ist sehr leicht zu verstehen. Alle Funktionen sind intuitiv. Heutzutage geben uns viele Hersteller die totale Kontrolle über jedes kleine Detail durch Menüs und Untermenüs. Da kann man sich leicht verirren. Nicht so bei eRV2! Nutzer erhalten Informationen über Tanks und Energie. Sie können Dinge ein- oder ausschalten. Das war‘s! Ein Beispiel: Ich schalte weder die Klimaanlage noch die Heizung ein. Ich wähle die Temperatur, die ich haben möchte. Wenn ich eine niedrigere Temperatur wünsche, als sie im Wohnmobil herrscht, schaltet sich die Klimaanlage ein. Wenn die Temperatur an Bord niedriger ist als die von mir gewünschte, schaltet sich die Heizung ein.

Fahrpraxis
Ich bin den Transit schon viele Male gefahren. Und das Fahren mit dem eRV2 ist nicht viel anders. Im ECO-Modus reagiert er nicht sehr schnell. Im Normalmodus ist das Fahrgefühl deutlich fixer. Aber wenn man diesen Fahrmodus ausnutzt und aktiver fährt, sinkt die Reichweitenanzeige wie der Höhenmesser eines abstürzenden Flugzeugs. Wenn Sie die Geschwindigkeit unter 90 km/h halten, erhalten Sie die angegebene Reichweite von 170 Kilometer (107 Meilen). Das Fahrverhalten ist etwas steifer als ich es gewohnt bin, aber immer noch angenehm. Ich hatte den Verdacht, dass der Reifendruck ein wenig zu hoch ist. Aber als ich ihn überprüfen ließ, war er doch korrekt. Ich glaube, man empfiehlt bei Elektrofahrzeugen einen höheren Druck, um den Widerstand zu verringern. Aber das ist nur eine Spekulation meinerseits.

Der Wohnbereich
Der Grundriss ist für zwei Personen ausgelegt. Ein Klappbett im Heck, eine gegenüberliegende Essecke, die genutzt werden kann, wenn das Bett weggeklappt ist. Küche und Bad befinden sich in der Mitte des Fahrzeugs. Im vorderen Teil des Wohnbereichs gibt es einen Arbeitsplatz mit Essecke. Man dreht die Vordersitze, klappt den Klapptisch hoch und hat einen perfekten Arbeitsplatz, der den eRV2 in ein mobiles Büro verwandelt. Ich habe das Bett hochgeklappt und die vordere Dinette zum Arbeiten, Essen und Entspannen genutzt. Hätte ich Besuch gehabt, wäre das Bett wahrscheinlich jeden Morgen weggeklappt worden, damit einer von uns die hintere Dinette nutzen konnte.

Von links im Uhrzeigersinn:
Um bei der Suche nach Ladestationen zu helfen, hat Ford ein System namens Charge Assist. Aber man muss sich in der Gegend auskennen, denn es gibt keine Karte, nur Straßennamen und Ortsbezeichnungen. Ich habe stattdessen eine Handy-App namens Plug Share verwendet. Sie lässt sich mit Google Maps verbinden und macht das Leben auf der elektrischen Straße viel einfacher.
Der größte Unterschied zu einem normalen Ford Transit ist der große Bildschirm und der Schaltknauf.
Mit einem Schnellladegerät ist das Fahrzeug in 20-25 Minuten zu 80 % aufgeladen. Eine volle Ladung auf 100 % dauert zwei Stunden. Niemand wartet darauf, wenn er unterwegs ist. Besser ist es, die Steckdose auf dem Campingplatz zu benutzen und im Schlaf zu laden

Meine Meinung
Ich wünschte, die Hersteller würden diese Technologie bei allen ihren Wohnmobilen einsetzen. Denn es muss nicht unbedingt ein vollelektrisches Wohnmobil sein, um einen voll elektrischen Wohnbereich zu haben. Mit einem Dieselmotor, der die Hausbatterie während der Fahrt auflädt, wäre man wirklich autonom. Nun, um fair zu sein. Die geringe Reichweite war für mich kein großes Problem. Eine Stunde oder so zu fahren und dann eine Pause von 20-30 Minuten einzulegen, um die Batterie aufzuladen, ist kein Problem, wenn man es nicht eilig hat. In einem Privatfahrzeug allerdings sitzt man nur da und wartet. In einem Wohnmobil hat man jedoch immer etwas zu tun. Auf langen Fahrten wird es aber sicher frustrierend. Mit dem eRV2 habe ich die besten Erfahrungen beim „Wildcampen“ beziehungsweise „freien Stehen“ gemacht. Wenn dies die Zukunft der Wohnmobile ist, können wir uns alle auf etwas freuen. Es ist entspannend, alle Einrichtungen an Bord nutzen zu können, als wäre man mit dem Stromnetz verbunden. Selbst mit der Hälfte der Batteriekapazität wäre es ein tolles Erlebnis. Und billiger. Allerdings wird es kein billiger Van sein, wenn er in Produktion geht. Aber man kann den Preis ein wenig senken, wenn man die Batteriekapazität halbiert und die Solarzellen weglässt. Jedenfalls hat Winnebago seinen Teil beigesteuert. Jetzt warten wir darauf, dass die Fahrgestellhersteller ihren Beitrag leisten und Fahrgestelle mit besserer Reichweite herstellen.

Chris Bienert

Chris Bienert ist Projektleiter für die Winnebago B-Klasse Vans und den neuen eRV2.
Er weist darauf hin, dass die Entwicklung von Reisemobilen keine Ein-Mann-Show ist, sondern eine Teamleistung. Chris ist oft mit Prototypen und fertigen Fahrzeugen auf Campingplätzen unterwegs. Er hält das für eine Notwendigkeit und drängt seine Teammitglieder, das Gleiche zu tun. Diese Einstellung hat bereits zu mehreren neuen Lösungen geführt. Oft handelt es sich dabei um Innovationen, die die Handhabung vereinfachen und/oder eine bessere Funktion bieten, die aber vielleicht nicht so luxuriös und exklusiv wirken wie frühere Lösungen.