Führungskraft in außergewöhnlicher Zeit
Die Führung eines großen Konzerns in außergewöhnlichen Zeiten erfordert eine optimale Perspektive. Alexander Leopold, CEO der Erwin Hymer Group, stand uns Rede und Antwort: Seine Aussagen bringen klar die Absicht zum Ausdruck, die einzelnen Marken zu stärken und gleichzeitig die Synergien der Gruppe auszubauen.
Text: Antonio Mazzucchelli – Fotos: Enrico Bona
Seit fast zwei Jahren steht Alexander Leopold an der Spitze eines der Big Player der globalen Reisemobilbranche, der Erwin Hymer Group. Die Erfahrungen, die er von 2015 bis 2022 als Geschäftsführer von Dethleffs (Erwin Hymer Group) sammeln konnte, waren die Grundlage für diese Spitzenposition, weil er das Potenzial und die Herausforderungen der verschiedenen Marken der Gruppe genau kennt. Uns beschreibt er seine Vision für die Branche in einem besonderen historischen Moment, in dem die Euphorie des Marktes, die Krise der Lieferkette und die unsicheren Prognosen für die Zukunft zusammenkommen.
Camper Professional – Sie haben vor fast zwei Jahren die Geschäftsführung der Erwin Hymer Group übernommen: Wie fällt Ihre Bilanz dieser ersten Zeit aus?
Alexander Leopold − Wir konnten unseren Wachstumsplan fortsetzen und die Erwin Hymer Group deutlich wettbewerbsfähiger machen. Und das in einem Umfeld, das vor allem durch Lieferengpässe bei Fahrgestellen und Zulieferteilen sowie durch steigende Preise gekennzeichnet war. Der gute Kontakt zu unseren Vertriebspartnern und Kunden hat uns geholfen, in diesen sehr schwierigen Zeiten für alle jeweils tragfähige Lösungen zu finden. Wir haben intern viel mit unseren Marken kommuniziert, um die besten Lösungen zu finden. Das ist uns sehr gut gelungen. Ich sehe die Erwin Hymer Group und unsere Muttergesellschaft Thor Industries als Plattform für Wissenstransfer und interne Dienstleistungen. Im Bereich der Entwicklung unterstützen wir unsere Standorte zum Beispiel mit einem internen Pool für Entwicklungsdienstleistungen, der es den Marken möglich macht, Entwicklungskapazitäten intern zu nutzen und ohne Einarbeitungszeit einzusetzen. So können wir unsere Entwicklungszeit verkürzen und gleichzeitig die Qualität steigern. Wir steuern unsere Geschäftsbereiche anhand einiger weniger Finanzkennzahlen, die wir monatlich sehr transparent mit unserem Management in der gesamten Organisation teilen. Unsere Partner, die sehr eigenständig agieren, tragen ein hohes Maß an langfristiger Verantwortung für ihr Unternehmen, ihre Marken, ihre Produktpalette und das finanzielle Ergebnis. Wir nennen diesen Ansatz „power-to-the-brands“ als Teil unserer Strategie der Unternehmensführung. Unsere Marken stehen im Vordergrund der Kommunikation, während die Erwin Hymer Group im Hintergrund unterstützt. Auf diese Weise fördern wir die für unsere Strategie wesentlichen Unternehmenswerte wie Teamgeist, Unternehmertum, Innovationsgeist und das gemeinsame Streben nach der besten Lösung. Ein weiterer wichtiger Meilenstein war der Bau unseres neuen Werks in Polen, der in Rekordzeit mit „best-practice“-Lösungen unserer etablierten und erfahrenen Standorte realisiert wurde. Darauf kann das gesamte Team stolz sein, und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um unseren Mitarbeitern und Lieferanten für ihren Einsatz und ihr Engagement zu danken.
Camper Professional – Die Erwin Hymer Group ist ein komplexes und vielfältiges Gebilde. Wie koexistieren die verschiedenen Facetten der Gruppe, wie lassen sich die verschiedenen Marken charakterisieren und Überschneidungen vermeiden?
Alexander Leopold − Wir haben unsere Marken konsequent auf die verschiedenen Zielgruppen und Preislagen ausgerichtet. Damit vermeiden wir nicht nur Überschneidungen, sondern machen unser Markenportfolio und damit die Erwin Hymer Group auch für Handelspartner sehr attraktiv. Die Holding spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Sie sorgt nicht nur für die nötige Transparenz und Daten, um die Performance der Marken zu messen und damit weiterzuentwickeln, sondern ermöglicht auch vertikale Synergien zwischen der Holding und den Tochterunternehmen sowie horizontale Synergien, die sonst nicht möglich wären. Ein Beispiel ist unser eigenes Testzentrum, in dem wir umfassende Komponenten- und Fahrzeugtests für alle Marken anbieten. Ein anderes Beispiel wäre, dass ein größerer Standort Personaldienstleistungen für andere Standorte übernimmt. Ein weiteres gutes Beispiel ist unsere neue Servicegesellschaft, die wir am 1. Januar 2024 gestartet haben. Die neue Servicegesellschaft ermöglicht uns, branchenführenden Support zu leisten und gleichzeitig neue Systeme und Prozesse zu testen. Wir legen großen Wert auf die Weiterentwicklung unserer Mitarbeiter sowie Führungskräfte und bieten maßgeschneiderte interne Programme an, um sicherzustellen, dass die Organisation über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, damit unsere Strategie erfolgreich und mit maximaler Akzeptanz umgesetzt werden kann.
Camper Professional – Nach einer Periode erheblichen Wachstums zeigt der Markt Anzeichen eines starken Rückgangs. Soll man die Nerven behalten und abwarten, bis sich die Lage stabilisiert? Oder muss man einen weiteren Rückgang befürchten?
Alexander Leopold − Wir haben eine state-of-the-art IT-Systemlandschaft in Vertrieb und Marketing, die über alle Marken hinweg standardisiert ist. Die Investitionen, die wir in unsere Systeme getätigt haben, ermöglichen uns eine hervorragende Transparenz, um zu wissen, was auf dem Markt passiert, wo wir Unterstützung leisten müssen und wo wir unser Händlernetz weiter ausbauen müssen. Wir können dieses Wissen auch mit unseren Handelspartnern teilen, was uns zu einem wertvollen Partner in der Kundenansprache macht. Wir verfügen derzeit über einen hervorragenden Auftragsbestand, sind uns aber auch der Verantwortung gegenüber unseren Handelspartnern bewusst, die zu Recht von uns erwarten, dass wir durch flexible Kapazitätsplanung sowie Vertriebs- und Marketingunterstützung schnell auf Veränderungen im Markt reagieren. Dies ist meines Erachtens eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg sowie Glaubwürdigkeit und wird auch von unseren Partnern sehr geschätzt. Die starke Partnerschaft mit unseren Händlern hilft uns, unseren Marktanteil weiter auszubauen. Der enorme Erfolg unserer Wohnmobile und Urban Camper in jüngster Zeit zeigt, wie stark die Struktur unserer Organisation auf dem Markt ist. Innerhalb weniger Jahre ist es uns gelungen, die Nummer 1 unter den reinen Reisemobil-Herstellern in Europa zu werden, ganz im Sinne unseres strategischen Plans.
Camper Professional – Ist die Krise der Zulieferung beendet? Welche Auswirkungen und welche Veränderungen hat sie für die Erwin Hymer Group mit sich gebracht?
Alexander Leopold − Die Lieferkette ist immer noch nicht so stabil wie vor der Pandemie. Wir haben unser Angebot an Fahrgestellen erweitert, um lieferfähig zu sein und damit für unsere Kunden attraktiv zu bleiben. Das erhöht zwangsläufig die Komplexität. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es in diesem Bereich zu einer Konsolidierung kommen wird. Jede Marktphase erfordert eine eigene Strategie, und wir müssen flexibel bleiben. Unsere oberste Priorität ist ein gemeinsames Verständnis für die Bedürfnisse unserer Kunden. Zulieferer und Hersteller müssen dieses Wissen konsequent nutzen, um den Kunden attraktive und relevante Produkte anbieten zu können. Ein weiterer Bereich, an dem wir arbeiten müssen, ist unser „time-to-market”, der Zeitraum von der Produktidee bis zur finalen Markteinführung der Produkte.
Camper Professional – In den letzten Jahren hat Ihre Gruppe eine bedeutende Veränderung hinsichtlich der Teilnahme an Messen vorgenommen. Diese Entscheidung hat einige Kostenvorteile, aber vielleicht auch einige negative Aspekte mit sich gebracht. Was sind die Stärken und Schwächen dieser Strategie? Wird sich in Zukunft etwas ändern?
Alexander Leopold − Ich finde es interessant, dass im Zusammenhang mit Messen immer wieder das Wort „Kosten“ fällt. Messen sind ein wichtiges Instrument im Marketing-Mix. Gleichzeitig ist eine Messe einer von über 20 Touch-Points im Informations- und Entscheidungsprozess unserer Kunden vor dem Kauf. Ein ausgewogener und abgestimmter Marketing-Mix, der sich an den unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Zielgruppen orientiert, ist entscheidend. Wir sind mehr als glücklich, dass wir in unserer Branche neue Wege beschritten haben. Unsere internen Kundenanalysen zeigen, dass sich die Reisemobil-Kunden in der Art und Weise, wie sie sich über Produkte und Dienstleistungen informieren, ständig weiterentwickeln. Daher optimieren wir permanent die Interaktion zwischen analogen und digitalen Touch-Points bei der Kaufentscheidung. Wir konnten viele Erkenntnisse gewinnen, was funktioniert und was nicht. Es hat mich gefreut, dass jede Marke ihren eigenen, weitgehend neuen Weg eingeschlagen hat. Die Erkenntnisse, die wir gewinnen, diskutieren wir im Team und lassen sie in unsere Entscheidungen einfließen. Ein Beispiel: Wenn eine unserer Marken an einem der Kundenkontaktpunkte eine deutlich höhere Konversionsrate erzielt, können alle anderen Marken von diesem besseren Ansatz stark profitieren. Dies ist einer der Vorteile unserer Gruppe, die ich bereits erwähnt habe: Know-how und Wissenstransfer. Jede Marke entscheidet, auf welchem Weg sie ihre Zielgruppe am besten erreicht und aktiviert. Die Entscheidung für eine Messebeteiligung wird daher auch von Kriterien wie der Zielgruppenrelevanz und dem „cost-per-sale“-Vergleich mit anderen Vertriebsmarketing-Instrumenten beeinflusst.
Camper Professional – Die meisten Ihrer Unternehmen sind in Deutschland ansässig, aber Sie haben auch Werke in anderen Ländern: Wie weit treiben Sie die Standortverlagerung voran, und wie wichtig ist es, Produktionsstätten in den Märkten zu haben, die sie bedienen?
Alexander Leopold − Die Konzentration auf deutsche Produktionsstandorte hat historische Gründe. Wir investieren viel Geld in unsere Marken, ihre Differenzierung und ihren Auftritt. Deshalb haben wir lange Zeit eine starke Exportorganisation. Inzwischen haben wir diesen Ansatz weiterentwickelt. Heute haben wir in allen wichtigen Märkten lokale Vertriebsorganisationen. Diese sorgen dafür, dass wir sehr nah am Markt sind und Vertriebs- und Marketingsynergien realisieren können. Wir verkaufen unsere wertvollen Marken in allen Ländern und brauchen nicht in jedem Land ein eigenes Werk mit entsprechenden Infrastrukturkosten. Davon profitieren auch unsere Vertriebspartner und die Servicequalität. Es gibt keine andere Möglichkeit, ein so hohes Serviceniveau in jedem Land zu erreichen. Und darauf legen wir großen Wert.
Camper Professional – Der Preisanstieg in den letzten drei Jahren war atemberaubend. Im Vergleich zu 2021 hat sich zum Beispiel der Preis der Hymer B-Klasse 600 um 45% erhöht. Warum sind die Wohnmobilpreise so stark gestiegen und liegen weit über der durchschnittlichen Inflationsrate?
Alexander Leopold − Bei Preiserhöhungen muss man wirklich berücksichtigen, inwieweit sich die Geräte und Materialien parallel dazu verändert haben. Wir sehen, dass unsere Produkte preislich fair sind und durch die bereits erwähnte Markensegmentierung nach Zielgruppen und Preisniveau haben wir für jedes Kundenbedürfnis das richtige Angebot. Wenn wir uns den Erzeugerpreisindex anschauen, sind wir mit unseren notwendigen Preiserhöhungen nicht weit entfernt.
Camper Professional – Sicherlich ist die Kaufkraft Ihrer Kundschaft nicht so stark gestiegen. Könnte man etwas tun, um die Preise abzumildern?
Alexander Leopold − Wir sind ständig bestrebt, unseren Kunden attraktive Preise zu bieten, ohne auf unseren hohen Qualitätsstandard verzichten zu müssen. Zu diesem Zweck stehen wir auch in engem Kontakt mit unseren Lieferanten. Hersteller und Lieferanten müssen gemeinsam an günstigeren Konzepten arbeiten – trotz unseres Innovationsdrangs. Unsere „best-price“-Marken arbeiten mit Hochdruck an kostengünstigeren Konzepten.
Camper Professional – Noch vor wenigen Jahren wurde Ihre Gruppe mit Premium- und Mittelklasseprodukten in Verbindung gebracht. Dann haben Sie mit einigen Ihrer Marken wichtige Schritte unternommen, um die Dominanz italienischer und französischer Marken in den mittleren und unteren Marktsegmenten zu brechen. War das ein langer und schwieriger Prozess? Hat es sich gelohnt?
Alexander Leopold − Unsere positive Marktanteilsentwicklung zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir haben bewiesen, dass wir nicht nur den „best-value“-Markt, sondern auch den „best-price“-Markt bedienen können. Aber ich gebe zu, dass der „best-price“-Markt für uns wahrscheinlich die größere Herausforderung ist. Daran werden wir weiter hart arbeiten.
Camper Professional – Im Segment der Urban Vehicles haben viele Akteure erheblich investiert und Sie waren unter den ersten, die in den Markt eingetreten sind. Entspricht die öffentliche Resonanz den getätigten Investitionen oder bleibt sie hinter den Erwartungen zurück?
Alexander Leopold − Wir profitieren sehr davon, dass wir so früh in das Segment der Urban Camper eingestiegen sind. Wir wissen, dass der urbane Camper-Kunde andere Anforderungen an das Produkt, aber auch an den Vertrieb hat. Dieses Know-how kann uns niemand nehmen und die eine oder andere Erkenntnis, die wir gewonnen haben, lässt sich auch auf den konventionellen Wohnmobilbereich übertragen. Wir gehen nicht davon aus, dass sich dieser Markt in den nächsten Jahren so dramatisch weiterentwickeln wird wie in den letzten Jahren, aber mit den von uns aufgebauten Lead-Management-Tools haben wir große Chancen, unsere Kunden für die Produkte unserer Marken zu begeistern und unsere Vertriebspartner bei der Kundenakquise aktiv zu unterstützen.
Camper Professional – Wie stark engagiert sich die Erwin Hymer Group im Caravan-Bereich? Halten Sie es für ein interessantes Investitionsfeld oder konzentrieren Sie sich aufgrund Ihrer Kompetenz im Bereich der motorisierten Fahrzeuge stärker auf Wohnmobile und Camper?
Alexander Leopold − Wir investieren weiter in den Caravan-Bereich. Die Elektromobilität spornt uns zu Höchstleistungen an. Das hat unsere erfolgreiche Alpen Challenge mit der Marke Dethleffs bewiesen. Und mit den Marken Eriba, Bürstner und LMC sowie unseren Marken für den britischen Markt haben wir einen starken und loyalen Caravan-Kundenstamm.
Camper Professional – Umstellung auf umweltfreundliche Motoren und die Wohnmobilwelt: Welche Strategie verfolgt die Erwin Hymer Group?
Alexander Leopold − Als Teil des weltweit führenden Herstellers von Freizeitfahrzeugen beschäftigen wir uns intensiv mit den Möglichkeiten alternativer Antriebssysteme. Mit der nächsten Generation von Langstreckenbatterien rückt die Elektromobilität auch für Freizeitfahrzeuge in greifbare Nähe. Gemeinsam mit unserer Muttergesellschaft Thor Industries und unseren strategischen Partnern legen wir derzeit den Grundstein für ein rein elektrisches Reiseerlebnis.