Vergangenheit und Zukunft
Wir haben den Vorsitzenden der Geschäftsführung von Hymer, Christian Bauer, interviewt: Wie geht das Unternehmen, die führende Marke der Erwin Hymer Group, mit der Euphorie, den Problemen und den Veränderungen in dieser komplexen, aber faszinierenden Marktphase um?
Text: Antonio Mazzucchelli – Fotos: Enrico Bona
Hymer ist vielleicht die bekannteste Marke im Reisemobilsektor auf europäischer Ebene. Das liegt daran, dass Hymer wichtige Kapitel in der europäischen Reisemobil-Geschichte geschrieben hat, aber auch an der Qualität und dem Prestige-Image der eigenen Produkte. Heute steht Christian Bauer an der Spitze des Unternehmens und beantwortet unsere Fragen zur Marktsituation, zur Messepräsenz, zur Rohstoff- und Zuliefererkrise, aber auch zum Verhältnis zwischen neuen Produktkategorien und neuen Nutzergruppen.
Camper Professional: Wie hat sich das Jahr 2022 für Hymer dargestellt? Wie haben Sie die Endphase der Pandemie und die große Markteuphorie erlebt?
Christian Bauer: Alles in allem war 2022 für uns ein großartiges Jahr mit vielen Highlights. Dazu gehört beispielsweise die mit Spannung erwartete Markteinführung des Hymer Venture S, die Präsentation einer neuen Generation von Caravans und Reisemobilen, die Eröffnung einer neu gebauten Produktionshalle für Super Light Chassis (SLC) in Bad Waldsee und vieles mehr.
Nach zwei herausfordernden, von der Pandemie geprägten Jahren läuft das Geschäft aber endlich wieder rund. Wir haben einen großen Camping- und Caravaning-Boom mit ungebrochenem Interesse an dieser Art des Reisens erlebt und blicken deshalb sehr optimistisch in die Zukunft.
Camper Professional: In Deutschland haben die Zulassungen von Freizeitfahrzeugen und vor allem von Reisemobilen nie dagewesene Zahlen erreicht: Gilt das auch für Hymer?
Christian Bauer: Die Nachfrage nach unseren Reisemobilen ist in der Tat so hoch wie noch nie. Wir können auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken.
Camper Professional: Aktuell ist die Nachfrage allerdings wieder rückläufig: Wo werden sich die Zulassungen sich einpendeln? Wird es Zahlen geben, auf denen man eine solide Zukunft aufbauen kann?
Christian Bauer: Das ist ein bisschen wie der Blick in die Kristallkugel in Zeiten der Unbeständigkeit, aber angesichts der positiven Entwicklungen in unserem Geschäft und in der Caravaning-Branche sehen wir uns für die Zukunft sehr gut aufgestellt.
Camper Professional: Welche Rolle spielt Hymer innerhalb der Welt der Erwin-Hymer-Group? Haben sich die Beziehungen zu den anderen Unternehmen der Gruppe in den letzten Jahren verändert? Sind für die Zukunft Veränderungen absehbar?
Christian Bauer: Hymer bleibt die Kernmarke der Erwin-Hymer-Group mit der höchsten Markenbekanntheit. Wir werden unserem Anspruch als Innovationsführer der Branche weiterhin gerecht werden und ihn nutzen, wo es sinnvoll ist. Natürlich auch den Austausch und die Synergien mit anderen Marken im Konzern, zu denen wir ein gutes Verhältnis haben. Daran wird sich nichts ändern.
Camper Professional: War die Entscheidung des Konzerns, an einigen Messen nicht teilzunehmen, eine schmerzhafte Entscheidung für Hymer? Was waren die Ergebnisse dieser Entscheidung? Welche alternativen Maßnahmen wurden ergriffen?
Christian Bauer: Aufgrund der Pandemie mussten wir verstärkt auf neue digitale Formate und Vertriebskanäle statt auf traditionelle Messeauftritte setzen. Dies ging einher mit einer Stärkung der Beratungskompetenz am „Point-of-Sale“. Mit diesem Ansatz haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.
Aber natürlich werden wir auch weiterhin den Kontakt zu Kunden und Geschäftspartnern pflegen, für die der Besuch einer Messe oder eines Live-Events unverzichtbar ist. Deshalb streben wir eine Präsenz auf wichtigen Messen (wie dem Caravan Salon) an, während die Teilnahme an anderen Messen individuell geprüft wird.
Camper Professional: Glauben Sie, dass sich die Art und Weise des Verkaufens und Kommunizierens generell entscheidend verändert hat oder noch verändern wird?
Christian Bauer: Ein gutes Zusammenspiel zwischen Herstellern und Händlern ist entscheidend – ob online oder offline. Dennoch wachsen die digitalen Vertriebs- und Marketingmöglichkeiten weiter an. Deshalb ist es wichtig, unseren gesamten Internetauftritt unter Einbeziehung aller Vertriebskanäle zu professionalisieren. Aber dabei dürfen Emotionalität und Ansprechbarkeit nicht verloren gehen. Erstklassige Beratung und guter Kundenservice werden für eine Premiummarke wie Hymer immer von zentraler Bedeutung sein.
Camper Professional: Wie stark wurde Hymer von der Rohstoff- und Zulieferkrise getroffen?
Christian Bauer: Das ist in der Tat die größte Herausforderung für unsere Branche und verlangt von allen Teilen unserer Belegschaft große Flexibilität. Wir sind aber stolz darauf, dass wir die auftretenden Probleme bisher sehr gut bewältigen konnten.
Camper Professional: Haben Sie konkrete Pläne für den Mangel an Fahrgestellen umgesetzt? Haben Sie sich für eine stärkere Differenzierung der mechanischen Grundlagen entschieden?
Christian Bauer: Nein, wir sind mit unseren derzeitigen Geschäftspartnern (in erster Linie Mercedes-Benz) sehr gut aufgestellt und werden auch weiterhin einen sehr transparenten und vertrauensvollen Austausch pflegen.
Camper Professional: Die gestiegenen Produktionskosten haben die Endpreise der Produkte in die Höhe getrieben: Sind diese für Ihre Kunden zu hoch?
Christian Bauer: Wie in den meisten Branchen und Lebensbereichen hat es in den letzten Jahren Preiserhöhungen gegeben, die wir teilweise an die Kunden weitergeben mussten. Das hat aber die Nachfrage nach unseren Produkten nicht beeinträchtigt.
Camper Professional: Glauben Sie, dass hochwertige Wohnmobile in Zukunft ein Luxusprodukt für einen begrenzten Kundenkreis sein werden?
Christian Bauer: Wohnmobile sind keine schnelllebigen Konsumgüter (FMCG) und daher werden diesbezüglich Kaufentscheidungen immer gut überlegt sein. Wir verstehen uns als Hersteller von emotionalen Gütern für passionierte Enthusiasten, die nicht alles dem Preis unterordnen. Andererseits hat sich der Kauf eines Wohnmobils in den letzten Jahren auch als wertbeständige Investition erwiesen.
Camper Professional: Unterstreicht diese Aussage, dass Hymer verstärkt kaufkräftige Kunden anspricht? Sind deshalb sehr hochwertige Reisemobile und Wohnwagen entstanden, wie zum Beispiel der Venture S und allradgetriebene Reisemobile?
Christian Bauer: Der Anspruch von Hymer leitet sich daraus ab, dass wir uns als innovative Premiummarke verstehen. Das ist es, was unsere Kunden schätzen und wie sie uns kennen. Da wir uns an den Wünschen und Erwartungen unserer Kunden orientieren und nicht nur an einem Highlight-Produkt wie dem Venture S, werden unsere Fahrzeuge in allen Kategorien immer umfangreicher ausgestattet und komfortabler ausgerüstet.
Camper Professional: Gibt es bei Hymer auch ein deutliches Wachstum im Marktsegment der Campervans? Wie hoch ist der Anteil dieser Fahrzeuge an Ihrem Gesamtumsatz heute? Haben Sie spezielle Programme für diesen Fahrzeugtyp aufgelegt?
Christian Bauer: Das Segment der Campervans wächst bei Hymer seit vielen Jahren kontinuierlich. Heute können wir auf ein breites Portfolio mit vielen Sondermodellen verweisen, die auch die steigende Nachfrage nach Vans mit Allradantrieb bedienen.
Camper Professional: Viele sagen, dass speziell Campervans neue Kunden für den Reisemobilmarkt generiert haben. Trifft das auch auf Hymer zu?
Christian Bauer: Ja, natürlich. Campervans sprechen in der Regel eine jüngere, aktivere Zielgruppe an, die unabhängig ihren Hobbys nachgehen will und nicht primär begeisterte Camper sind. Dennoch bieten Campervans natürlich auch einen kostengünstigeren Einstieg in die Camping- und Caravaning-Welt.
Camper Professional: Hymer unterhält nach wie vor verschiedene Caravan-Baureihen: Wie wichtig ist dieser Markt für Sie? Sind die Produktions- und Vertriebsanstrengungen im gesunden Verhältnis zum Absatz?
Christian Bauer: Mit unserer Marke Eriba, die sich zunehmend verselbständigt, bekennen wir uns klar zum Wohnwagen-Segment. Ein Blick auf die vielen Fahrzeuge mit Kultstatus, wie zum Beispiel den Eriba-Touring, zeigt die Bedeutung, die die Marke in der Geschichte der Branche und auch heute noch hat.
Camper Professional: Wie ist das Absatzverhältnis zwischen Inlandsmarkt und Export bei Hymer? Auf welchen Märkten sind Sie am stärksten vertreten? Welche Veränderungen hat es in der letzten Zeit gegeben?
Christian Bauer: Als deutscher Traditionshersteller ist der deutschsprachige Markt für uns natürlich sehr wichtig. Aber wir sind in allen europäischen Kernmärkten wie England, Frankreich und den Niederlanden gut vertreten und bauen auch unsere Präsenz in Osteuropa, insbesondere in Polen und Tschechien, stetig aus.
Camper Professional: Wie hat sich Hymer in den osteuropäischen Märkten entwickelt und welche Veränderungen wird es durch den Russland-Ukraine-Konflikt geben?
Christian Bauer: Die Ukraine und Russland waren nie große Märkte für unser Geschäft. Aber natürlich haben die Folgen des Konflikts auch Auswirkungen auf die aktuellen Herausforderungen bezüglich der Lieferketten.
Camper Professional: Haben die Schwierigkeiten der vergangenen Monate zu Problemen in Ihrem Vertriebsnetz geführt? Tun Sie etwas, um die Händler gerade jetzt zu unterstützen?
Christian Bauer: Wir sind froh, dass wir ein sehr gutes Händlernetz haben, mit dem wir eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Um sie bestmöglich zu unterstützen, haben wir uns in den letzten Monaten darauf konzentriert, die Qualität weiter auszubauen. Zu den Maßnahmen gehören Schulungen und Trainings, aber wir treiben auch gemeinsam die Digitalisierung unserer Vertriebskanäle voran, um den Verkehr auf die Handelsplätze zu lenken.
Camper Professional: Wie ist das deutsche Vertriebsnetz aufgebaut? Planen Sie, in den Ausbau oder die Neuausrichtung einzugreifen?
Christian Bauer: Wir haben in Deutschland eines der stärksten Netze der Branche und arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung der Händlerqualifikation. Unser Fokus liegt dabei auf qualitativem und nicht auf quantitativem Wachstum.
Camper Professional: Wie steuern Sie den Vertrieb der Produkte auf den verschiedenen Märkten, wenn Sie weniger Verfügbarkeit haben? Nimmt Deutschland den Löwenanteil ein oder suchen Sie auch einen Ausgleich mit den kleineren Märkten?
Christian Bauer: Wir sind natürlich bestrebt, die Nachfrage in allen Märkten gleichermaßen zu bedienen. In Anbetracht der Umstände können wir sagen, dass uns das sehr gut gelingt.