Multi-Chassis-Strategie: Knaus gibt Vollgas!
Selbst in einer kritischen Phase, wie wir sie gerade erleben, beweist die KnausTabbert-Gruppe erstaunlichen Elan: neue Modelle, neue Technologien und sogar neue Fahrzeugtypen. Wir sprachen darüber mit Gerd Adamietzki, Vorstand/CSO bei Knaus Tabbert
Text: Antonio Mazzucchelli; Fotos: Enrico Bona
Gerd Adamietzki hat über 28 Jahre Erfahrung in der Caravaningbranche. Seit 2006 ist er in der KnausTabbert-Gruppe tätig und seit 2013 ebenda als Vorstand/CSO. Wir haben ihn auf dem Düsseldorfer Caravan Salon 2022 interviewt.
Camper Professional: Knaus Tabbert ist wahrscheinlich die europäische Caravan- und Reisemobilmarke, die ihre Produkte am stärksten erneuert hat: Eine große Anstrengung, und ist es auch eine große Investition in die Zukunft?
Gerd Adamietzki: Es freut mich, wenn Sie das so sehen. Denn: Das ist genau unser Anspruch. Wir wollen Innovationsführer der Branche bleiben. Daher haben neue Entwicklungen, neue Technologien, neue Fahrzeuge bei Knaus Tabbert absolute Priorität. Nehmen Sie den Wohnwagen AZUR. Keiner in der Branche hat diesen Technologieschub in der Fertigung nachvollziehen können. Die FibreFrame-Technologie mit dem in sich selbsttragenden, hochfesten Rahmen gibt uns völlig neue Freiheiten in der Gestaltung und Produktion von Freizeitfahrzeuge. Kurz: Diese revolutionäre Technologie bietet im Markt ein echtes Alleinstellungsmerkmal.
Camper Professional: Knaus Tabbert ist die Gruppe mit der größten Vielfalt Basisfahrzeugen: Fiat, Ford, Mercedes, Volkswagen, MAN. Ist dies ein notwendiger Schritt, um sich gegen die Lieferengpässe von Stellantis zu schützen?
Gerd Adamietzki: Wir haben die Lieferketten-Problematik frühzeitig erkannt und mit unserer Multi-Sourcing-Strategy bereits vor anderthalb Jahren angefangen gegenzusteuern. Mittlerweile haben wir das größte Angebot an Basisfahrzeugen, um den steigenden Ansprüchen unserer Kunden gerecht zu werden und am Markt flexibel zu agieren.
Camper Professional: Führt die Produktion von Reisemobilen auf unterschiedlichen Basisfahrzeugen zu höheren Kosten? Wie hat sich dies auf Ihre Produktions- und Organisationsprozesse ausgewirkt?
Gerd Adamietzki: Selbstverständlich erfordert eine größere Auswahl an Basisfahrzeugen entsprechenden Mehraufwand in Konstruktion, Entwicklung, Logistik und letztlich auch im Vertrieb der Fahrzeuge. Aber wir haben jahrzehntelange Erfahrung im Bau unterschiedlichster Freizeitfahrzeuge.
Camper Professional: Der neue Wohnwagen Azur ist das Ergebnis jahrelanger Experimente mit einer neuen Technologie, die vor einigen Jahren mit dem Travelino begonnen und mit dem Deseo fortgesetzt wurde. Was waren die Höhepunkte dieses Projekts? Warum hat es so lange gedauert, es zu entwickeln?
Gerd Adamietzki: Diese Technologie war ein sehr ambitioniertes Projekt – für uns alle quasi technologisches Neuland. Schließlich haben wir im Lastenheft nicht weniger gefordert, als die gesamte bisherige Produktionsweise eines Wohnwagens komplett in Frage zu stellen. Herausgekommen sind faszinierende Produkte wie der KNAUS DESEO. Ein hochwertiger Wohnwagen, bei dem es unser Ziel war, die gesamte Heckwand öffnen zu können. Beim AZUR haben wir nun diese Technologie des FibreFrame in die größere Serie hingeführt – das hat die Mannschaft zusätzlich gefordert – und sie hat es aus meiner Sicht hervorragend gemeistert. DER AZUR ist die technologische Speerspitze im Caravanbau.
Camper Professional: Planen Sie, diese Technologie auf alle Wohnwagen der Knaus Tabbert Gruppe zu übertragen?
Gerd Adamietzki: TRAVELINO, DESEO und AZUR sind nur der Anfang. Wir sind von dieser Technik überzeugt. Die Vorteile sind klar: Allerhöchste Freiheit in der Gestaltung von Freizeitfahrzeugen, verbunden mit den Möglichkeiten einer automatisierten Fertigung.
Camper Professional: Ist der zukünftige Einsatz dieser Technologie auch für Ihre Reisemobile geplant?
Gerd Adamietzki: Der FibreFrame ist universell entwickelt worden. Wir forschen und entwickeln hierzu in alle denkbaren Richtungen. Lassen Sie sich überraschen.
Camper Professional: Wenn man sich die neuesten Produkte anschaut, scheint es, als wolle man Weinsberg von seiner Position als Einsteigermarke entfernen. Trifft das zu?
Gerd Adamietzki: Der Markenkern von WEINSBERG ist, stets in seiner Klasse das beste Preis-/Leistungsverhältnis anzubieten. Damit ist WEINSBERG seit Jahren sehr erfolgreich und präzise positioniert. Das zeigen auch uns die Rückmeldungen aus den Märkten. Mit dem CaraCompact Edition [PEPPER] auf Mercedes-Benz erweitern wir nun das bewährte Portfolio um eine attraktive Variante, die unsere Kunden immer öfter auswählen. Und schließlich: Auch diese Version des [PEPPER] ist in der Preisstellung äußerst gut positioniert.
Camper Professional: Wie hat sich das Reisemobilsegment in Ihrer Gruppe in Bezug auf Investitionen und Marktwachstum entwickelt?
Gerd Adamietzki: Wir haben in den vergangenen Jahren einen ungebrochenen Boom bei Reisemobilen und Campervans erleben dürfen. Knaus Tabbert hat zu diesem Trend wesentlich beigetragen. Das beweisen die europäischen Zulassungsstatistiken. Seit 2008/2009 hat sich bei uns das Verhältnis Wohnwagen- zu Reisemobil-Produktion stetig in Richtung Reisemobile entwickelt. Doch darüber hinaus vergessen wir die Produktion von Wohnwagen nicht, sie sind ein solides Standbein von Knaus Tabbert und Teil unserer DNA.
Camper Professional: Alle europäischen Hersteller haben sich auf die wachsende Kategorie der urbanen Freizeitmobile konzentriert, das heißt auf Mini-Vans mit Aufstelldach. Sie haben völlig unterschiedliche Produkte entwickelt: Den Tourer CUV und den X-Cursion. Warum?
Gerd Adamietzki: Für uns ist das eine völlig neue Fahrzeug-Kategorie, von der wir überzeugt sind, unsere Kunden zu begeistern. Die Rückmeldungen auf dem Caravan Salon 2022 dazu waren jedenfalls begeistert bis euphorisch. Das zeigt mir: Wir haben mit diesen neuen Camper-Mobilen einen Nerv getroffen. Diese neue Klasse schließt die Lücke zwischen kompakten Campern und Urban Camper. Ein vollwertiges Reisemobil mit Sitzecke, Küche, komplettem Bad und bis zu vier Schlafplätzen bei weniger als 5,9 Meter Länge auf Basis eines in der Szene fast schon kultig verehrten VW T6.1 – das macht so keiner.
Camper Professional: Sie haben eine große Anzahl von Caravans im Programm: Wie wichtig ist das Caravan-Segment für die Knaus Tabbert Gruppe? Wird es auch in den nächsten 5-10 Jahren ein starkes Marktsegment sein?
Gerd Adamietzki: Unsere Wurzeln liegen im Wohnwagenbau, das haben wir seit Jahrzehnten erfolgreich bewiesen. Dies zeigt auch der Fahrzeug-Bestand in Europa, hier liegen die Wohnwagen von Knaus Tabbert an der Spitze. Und dass wir weiter an Caravans glauben, zeigen unsere neuen Fahrzeuge wie AZUR oder der TABBERT PEP PANTIGA. Ich bin fest davon überzeugt: Es bleibt ein starkes Marktsegment – und wir werden auch weiterhin sehr attraktive Wohnwagen entwickeln und anbieten.
Camper Professional: Welche Rolle spielt Tabbert innerhalb der Gruppe? Sind Sie mit dem neuen PEP Pantiga auf der Suche nach einer Erneuerung oder Modernisierung, um mit einem breiteren Kundenspektrum in Kontakt zu treten? Oder tun Sie es, weil sich die traditionelle Kundschaft verändert?
Gerd Adamietzki: TABBERT-Wohnwagen sind im Markt Stand-Alone-Fahrzeuge – sie stehen für sich. Aber: Genauso wie unsere Kunden sich verändern, verändern natürlich auch wir uns. Für mich war TABBERT lange etwas in der eigenen Historie gefangen. Mit den PANTIGA-Modellen brechen wir Traditionen auf und beschreiten neue Wege. Am Ende werden die Kunden entscheiden. Doch ich bin überzeugt: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Camper Professional: Was sind Ihre Erwartungen für das Ende des Jahres 2022? Werden Sie viele Auswirkungen auf das Fehlen von Basisfahrzeugen haben? Wie sind Ihre Aussichten für die kommenden Jahre?
Gerd Adamietzki: Die Multi-Sourcing-Strategie greift schon jetzt: Unsere neuen Partner liefern im zweiten Halbjahr zuverlässig. Deshalb gehen wir für 2023 von einer noch besseren Chassis-Versorgung aus.
Camper Professional: Könnte der Anstieg der Reisemobilpreise zu einem Wechsel der Kunden zu (günstigeren) Wohnwagen führen?
Gerd Adamietzki: Wir haben unsere Preispolitik moderat an die aktuelle Situation angepasst und können so weiterhin in allen Segmenten attraktive Fahrzeuge zu attraktiven Preisen anbieten. Aus meiner Sicht sind die Kategorien Reisemobil und Wohnwagen im Markt sauber getrennt und substituieren sich eher nicht.
Camper Professional: Die Rolle des Vertriebsnetzes ist von grundlegender Bedeutung. Wie ist die Situation in Deutschland? Haben Sie ein stabiles Netz oder erwarten Sie positive oder negative Schwankungen?
Gerd Adamietzki: Unser Händlernetz ist stabil, stark und solide durchfinanziert. Deutschland ist für uns der größte Markt, die Nachfrage an Freizeitfahrzeugen ist ungebrochen hoch. Fast täglich bekommen wir Anfragen von Händlern, unser Marken zu vertreiben.
Camper Professional: Wie unterstützen Sie Ihr Vertriebsnetz?
Gerd Adamietzki: Konsequent in alle Richtungen: Von der Kundenneugewinnung über verschiedenste Vertriebsfördermaßnahmen bis hin zu attraktiven Konditionen. Nehmen Sie die Aktion Open Dealer Day im vergangenen Jahr – das war branchenweit die wohl größte Werbekampagne mit europaweit rund 700 TV-Spots, begleitet von umfassenden Social-Media-Aktivitäten. Wir bauen also eine Plattform, damit unsere Handelspartner erfolgreich im Markt agieren können. Und nicht zuletzt informieren wir unsere Handelspartner laufend zeitnah über die aktuellen Entwicklungen und entwickeln kontinuierlich attraktive Fahrzeuge, die in den Markt passen.
Camper Professional: Glauben Sie, dass mit dem unvermeidlichen Preisanstieg eine andere, anspruchsvollere Kundschaft entsteht, so dass sich auch das Vertriebsnetz anpassen muss?
Gerd Adamietzki: Wir passen uns kontinuierlich möglichen Veränderungen an und behalten dabei stets die Kundenwünsche im Auge. Entscheidend ist: Wer Märkte gestalten möchte, muss künftige Kundenbedürfnisse schon heute antizipieren und die kommenden Trends vorausschauend planen. Bedeutet konkret: Wir sehen weiterhin noch Bedarf an attraktiven Modellen in den jeweiligen Einsteigerklassen.