Oberflächen jenseits von Technik
Interview mit Mario Bisson, dem Leiter des Master-Studiengangs in „Sensorial Surface Design“ am Politecnico di Milano (Universität), über die technischen und multisensorischen Aspekte von Oberflächen in Bezug auf die Innenräume von Wohnmobilen und die Atmosphäre, die sie schaffen.
Text: Renato Antonini
Unter den europäischen Universitäten spielt das Politecnico di Milano eine Schlüsselrolle im Bereich Design. Hier lehren Experten mit unterschiedlichen Kompetenzen, die sich der Ausbildung zukünftiger Designer widmen. Wir haben Mario Bisson interviewt. Er befasst sich seit Jahren mit wahrnehmungsbezogenen, sensorischen und technischen Aspekten von Oberflächen und ist Leiter des Masterstudiengangs Sensorial Surface Design. Er beschrieb uns seine Sicht auf die Welt der Oberflächen, die bei der Gestaltung von Möbeln und Wohnräumen in Wohnmobilen, Caravans und Campervans eine wichtige Rolle spielen. Die Hauptfrage lautet: Lassen sich Oberflächen auf technische Perfektion reduzieren oder steckt viel mehr dahinter?
Camper Professional – Sie leiten den Studiengang Master in Sensorial Surface Design am Politecnico di Milano: Bitte erklären Sie uns, worum es dabei geht?
Mario Bisson – Es handelt sich um einen Master-Studiengang, der Studenten offensteht, die zuvor ein dreijähriges Studium mit Bachelor-Abschluss gemacht haben. Es handelt sich im Wesentlichen um Studenten aus den Fakultäten für Architektur, Design und Ingenieurwesen. Fünfzig Prozent der Studenten sind Italiener, aber wir haben auch einen beachtlichen Anteil von fünfzig Prozent internationalen Studenten, was die internationale Rolle des Politecnico di Milano unterstreicht. Der Master-Studiengang wurde im vergangenen Jahr gestartet. Jetzt befinden wir uns in der zweiten Auflage und bereiten Kurse für das dritte Jahr vor. Die Ausbildung konzentriert sich auf das Projekt der emotionalen Identität von Möbelprodukten und Innenräumen, ausgehend von den funktionalen und sensorischen Qualitäten der Oberflächen.
Camper Professional – Aus welchem Bedürfnis heraus ist dieser Studiengang entstanden?
Mario Bisson – Der Master-Studiengang wurde ins Leben gerufen, um über die Themen Produktion, Technik und den funktionalen Aspekt des Designs hinauszugehen. Natürlich können wir diese Themen nicht ignorieren, wenn wir über die Gestaltung von Elementen im Zusammenhang mit der Inneneinrichtung sprechen, aber wir dürfen uns auch nicht auf die technischen und funktionalen Aspekte beschränken. Es gibt einen emotionalen Teil, der oft übersehen wird, einen Teil, der mit sensorischen Erfahrungen und Emotionen zusammenhängt, die unser Gehirn durch die Wahrnehmung der Oberflächen, die die Umgebung, in der wir leben, ausmachen, empfangen kann: die Oberflächen der Einrichtungselemente, aber auch der Boden und die Wände. Weltweit gibt es nur wenige Designstudiengänge, die sich speziell mit diesen Themen befassen. Deshalb habe ich dieses Projekt vor einigen Jahren dem Politecnico di Milano vorgeschlagen – und es wurde angenommen. Gemeinsam mit einem kohärenten und motivierten Team, zu dem auch Cristina Boeri als Co-Designerin gehörte, habe ich dann diesen Master-Studiengang ins Leben gerufen. Es war eine Herausforderung, die wir gewonnen haben.
Camper Professional – Aus welchen Erfahrungen heraus hat sich dieser Forschungsbereich entwickelt?
Mario Bisson – Ich unterrichte seit 1991 Design; zunächst am Europäischen Institut für Design und dann am Politecnico di Milano. Ursprünglich komme ich aus dem humanistischen Bereich und habe immer bemerkt, dass die emotionale Komponente, die menschliche Seite des Designs, oft zugunsten funktionaler und produktionstechnischer Anforderungen vernachlässigt wurde. Lange Zeit glaubte man, dass die Gestaltung von industriell gefertigten Objekten, insbesondere von Möbelelementen, in der Ausführung perfekt sein müsse, aber die kognitive Komponente wurde oft übersehen. Unsere Forschung geht von der synästhetischen Wahrnehmung aus. Wir beziehen uns auf das Konzept des primären Designs, auf das CMF-Design (Color Material Finishing), wie es von drei prominenten Persönlichkeiten des italienischen Designs seit den 1970er Jahren theoretisiert wurde: Clino Trini Castelli, Andrea Branzi und Massimo Morozzi. Ich habe mehrere Artikel über die Erinnerungen geschrieben, die unser Gehirn an bestimmte Gerüche und Klänge in Verbindung mit Umgebungen und Situationen hat. Zum Beispiel an bestimmte Gerüche aus unserer Kindheit, an den Duft der Möbel in dem Haus, in dem wir wohnten, an den Geruch des Schreibwarenladens, in dem wir unsere Hefte kauften, oder an den Klang des Holzbodens in einem früheren Schlafzimmer.
Camper Professional – Haben Sie die Unterstützung vieler Unternehmen?
Mario Bisson – Wir haben von Anfang an großes Interesse bei einigen Unternehmen festgestellt, und es gibt viele andere, die die nächste Ausgabe des Masterprogramms unterstützen wollen. Ich kann Unternehmen wie Abet Laminati, Cleaf, Fantoni, Schattdecor, Saib, Alpi, Lanta, Tabu und Gruppo Mauro Saviola nennen. Diese Unternehmen helfen bei Schülerprojekten, besuchen unsere Kurse und verstehen die entsprechenden Bedürfnisse. Die Unternehmen sind daran interessiert, uns zu unterstützen; sie sehen einen Wert darin, zur Entwicklung von Berufsprofilen beizutragen, die später in ihre Teams integriert werden können.
Camper Professional – Lassen Sie uns über die Oberflächen in der Einrichtungswelt sprechen: Was hat sich verändert?
Mario Bisson – Es hat eine kontinuierliche Entwicklung stattgefunden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging es darum, die Produktion zu beschleunigen. Dann kamen synthetische Materialien auf, vom Linoleum bis zum Teppichboden, und in den 1980er Jahren hielten unterschiedliche Technologien auf verschiedenen Ebenen Einzug. Man denke nur an die elektrischen Fensterheber im Auto. Von etwa 2010 bis 2020 gab es im Design einen bedeutenden Schub durch das Thema Sharing Economy, bei dem der Schwerpunkt auf der Nutzung eines Objekts lag, ohne es zu besitzen. Im Bereich des Designs ist die emotionale Komponente nun endlich sehr relevant geworden.
Camper Professional – Wie sehen aktuelle Entwicklungen aus?
Mario Bisson – Neben den Farbtrends gibt es neue Materialien, und es ist zunehmend möglich, Technologie und Elektronik in Oberflächen einzubetten. Aktuelle Technologien ermöglichen uns heute Entwicklungen, die noch vor kurzer Zeit undenkbar waren. Es ist wichtig, auf diese Veränderungen zu achten, auch auf Technologien, die in anderen Bereichen als der Möbelindustrie eingesetzt werden. Auch die digitale Welt verändert sich, und die künstliche Intelligenz hat einen starken Impakt. Im Rahmen der Industrie 5.0 kommunizieren nicht nur Systeme miteinander, sondern es wird ein Dialog zwischen Mensch und System aufgebaut. Dabei besteht die Gefahr, dass sich der Mensch zu sehr von der Technologie abhängig macht, daher ist es wichtig, die richtige Balance zu finden.
Camper Professional – Wie passt das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit in diesen Zusammenhang?
Mario Bisson – Die Entwicklung und Herstellung nachhaltiger Produkte ist eine Anforderung, und Europa hat sich dieses Ziel mit einer konkreten Frist bis 2030 gesetzt. Jeder industrielle Prozess muss die ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigen. So sind beispielsweise bestimmte Klebstoffe und Schweißtechniken heute nicht mehr akzeptabel, und die Entsorgung von Produkten am Ende ihres Lebenszyklus ist ein wichtiges Thema. Das ist eine komplexe Angelegenheit, denn heutzutage spricht man weniger über einfache Materialien und mehr über Verbundwerkstoffe. Es gibt also einiges zu tun, bevor Verbundwerkstoffe überhaupt hergestellt werden. Der Chemiesektor arbeitet hart daran, Materialien zu eliminieren, die nicht wieder in den Produktionskreislauf eingebracht werden können. Umweltzertifizierungen umfassen jetzt Materialien, Prozesse und Produkte. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit: Die richtigen nachhaltigen Materialien werden kommen, davon bin ich überzeugt.
Camper Professional – Die Forschungen Ihres Teams konzentrieren sich auf die Oberflächen der Einrichtungsgegenstände in unseren Wohnungen und Büros, aber wie sieht es mit anderen Umgebungen aus, beispielsweise in Wohnmobilen und Caravans?
Mario Bisson – Lassen Sie uns zunächst über dynamische Umgebungen sprechen, die nicht statisch sind. In einer Umgebung, die sich auf Rädern fortbewegt, sind Materialien und Komponenten einer starken Belastung ausgesetzt. Die Frage des Lärms ist nicht zweitrangig. Geräuschlosigkeit ist wertvoll und wird mit hochwertigen Produkten in Verbindung gebracht. In der Welt der Wohnmobile wurde in den letzten Jahren verstärkt auf Oberflächen geachtet, aber es kann noch viel mehr getan werden. Wenn ich mir die derzeitige Produktion von Wohnmobilen anschaue, gibt es sowohl bei den Oberflächen als auch bei der Verarbeitung, den Kanten usw. noch Raum für Verbesserungen. Die Liebe zum Detail macht den Unterschied.
Camper Professional – Könnte es in einem Master-Programm wie dem Ihren auch Platz für Unternehmen oder Verbände aus dem Wohnmobilsektor geben?
Mario Bisson – Auf jeden Fall, ja. Die Rolle der Oberflächen bezieht sich auch auf das Fahrzeugdesign und mehr noch auf das Design großer und komplexer mobiler Umgebungen wie in Caravans und Wohnmobilen. Daher glaube ich, dass der Wohnmobilsektor auch unserer Forschung neue Impulse geben könnte.
Camper Professional – Welche Rolle spielt künstliches Licht bei der Definition von Oberflächen und was hat sich im Vergleich zu früher geändert?
Mario Bisson – Licht ist von grundlegender Bedeutung und steht in direktem Zusammenhang mit der Farbe von Oberflächen. Mit der Entwicklung der LED-Technologie in den letzten Jahren hat sich viel verändert. Wir können jetzt die Umgebung überall mit Licht bereichern, und wir sprechen nicht nur von Scheinwerfern, sondern auch von indirekter Beleuchtung. Wir können mit der Frequenz der LED-Leuchten arbeiten und verschiedene Frequenzen verwenden, um entweder kühles oder warmes Licht zu erzeugen. Dies hat einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Umgebung durch den Benutzer. Diese Möglichkeiten, die sich durch die Lichtfrequenz und nicht nur durch die Lichtintensität ergeben, werden seit Jahren in verschiedenen kommerziellen Aktivitäten genutzt, darunter in verschiedenen Arten von Geschäften, sogar in solchen, die Lebensmittel verkaufen, um eine bessere Wahrnehmung der verkauften Produkte zu erreichen. Zweifelsohne ist warmes Licht in einer Umgebung wie einem Wohnmobil besser. Und dann kann ich mit Licht auch bestimmte Oberflächen hervorheben, ich kann mit Lichteinfall und Oberflächenwinkeln arbeiten, um besondere Effekte zu erzielen. Letztlich kann künstliches Licht eine Umgebung entweder verbessern oder zerstören. Zudem verbringen wir viel Zeit in Umgebungen während der dunklen Stunden, in denen künstliches Licht eine entscheidende Rolle spielt.
Camper Professional – Welches Verhältnis besteht zwischen den Oberflächen und den Produktionskosten, und wo liegen die Grenzen?
Mario Bisson – Die Produktionskosten werden im Vorfeld bestimmt. Zunächst müssen wir entscheiden, welche Kosten wir tragen können, und dann bestimmen wir die Materialien, Oberflächen und Technologien, die wir dementsprechend einsetzen. Auf der Grundlage der zu erwartenden Kosten suchen wir nach den am besten geeigneten Materialien, um die höchste Produktqualität zu erreichen. Es ist wichtig, den Kontext zu verstehen, in dem wir arbeiten. So muss sich Italien in einem globalen Produktionsszenario besonders auf Premiumprodukte konzentrieren, da es sonst Gefahr läuft, nicht wettbewerbsfähig zu sein. International hat das Label „Made in Italy“ eine zusätzliche und sehr hohe Wertschätzung.